Vom 9. auf den 10. November 1938 fand in Deutschland, Österreich und in der Tschechoslowakei die
Reichskristallnacht statt. Die Bezeichnung Reichskristallnacht, deren Herkunft nicht definitiv geklärt ist, war ein reichsweites Pogrom (gewalttätige Aktion gegen Menschen, die einer Minderheit angehören), gegen die Juden im Deutschen Reich. Der Begriff „Kristallnacht“ bezieht sich auf die überall verstreuten
Glasscherben vor den zerstörten Wohnungen, Läden, Büros, Synagogen und öffentlichen jüdischen Einrichtungen.
Das Pogrom zur Reichskristallnacht wurde – am Abend des jährlichen Treffens der NSDAP-Führerschaft in
Gedenken an den gescheiterten Hitler-Putsches am 9. November 1923 – nach Zustimmung Hitlers von
Propagandaminister Josef Goebbels durch eine Hetzrede ausgelöst.
Nach dem Novemberpogrom wurden Juden in nie da gewesenem Ausmaß verfolgt, verschleppt
(Konzentrationslager) und diskriminiert. Jüdische Organisationen wurden aufgelöst und die jüdische Presse
verboten. Juden durften keinen Handel, kein Handwerk und kein Gewerbe mehr betreiben. Den in Deutschland lebenden Juden wurde jegliche Existenzgrundlage genommen.
Pogrom in Rhede
In Rhede wurde am 9./10. November 1938 das Haus der jüdischen Familie Landau zerstört (Neustraße 19). Rheder Nazis schlugen die Fensterscheiben des Hauses ein und zerstörten die Eingangstür und Teile der Inneneinrichtung.
Die Wohnung von Sara und Louis Cleffmann wurde ebenfalls zerstört (Hohe Straße 7), wertvolles Inventar
gestohlen. Das Ehepaar wurde schikaniert und musste unter den Drohungen der Nazis Exerzierübungen
machen. Ähnliche Schicksale erlitten die in Bocholt lebenden Juden, darunter auch die aus Rhede
stammende Familie Mühlfelder.
Die Bewohnerin Berta Landau erinnerte sich, dass sie völlig ahnungslos mitten in der Nacht von einer
Horde von Zerstörern unter Drohungen und Geschrei aufgeweckt wurde.
Die Töchter der Berta Landau, Erna und Ruth Landau wanderten unter dem steigenden Druck gegen
jüdische Mitbewohner im Juni 1939 über Holland zunächst nach England aus. Nach der Pogromnacht
sahen sie für sich keine Zukunft mehr in Rhede. Von England sind die Schwestern dann schließlich in den
US-Staat New Jersey ausgewandert. Die Mutter Berta Landau wollte Rhede nicht verlassen.
Louis Cleffmann und seine Ehefrau Selma, geb. Jonas aus Rhede, Hohe Str. 7, wanderten im August 1939
aus.
Die Jüdin Mathilde Cleffmann aus Rhede wurde am 27.09.1940 in der Euthanasie-Tötungsanstalt
Brandenburg ermordet.
Das Ehepaar Sophie und Emanuel Mühlfelder aus Rhede stammend, die später in Bocholt wohnten, wurden am 29.07.1942 über Münster ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Von Theresienstadt wurden sie mit einem Transport nach Minsk gebracht und dort im September 1942 ermordet.
Nach dem Novemberpogrom wurde die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen
Wirtschaftsleben, vom 12. November 1938“ rigoros umgesetzt und den Menschen jüdischen Glaubens
wurde endgültig jede Existenzgrundlage entzogen. In der Archivakte, Bestand B1290 beginnend ab 1938,
befinden sich Informationen die auf die Verordnung vom 12.11.1938 deutlich hinweisen. Neben Aufstellungen und Vorgängen über die jüdische Bevölkerung, deren Eigentum und ermögensverhältnisse von Juden im Amtsbezirk Rhede, sind Beschlagnahmungen, Verbote und Anweisungen gegen Juden zuhauf in der Akte zu finden.
Eine allgemeine, äußerliche Kennzeichnung der Juden war die zweite Verordnung zur Durchführung des
Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17. August 1938. Sofern sie nicht
ohnehin bereits einen jüdischen Vornamen trugen, der „im deutschen Volk als typisch angesehen“ wurde,
mussten Juden ab Januar 1939 zusätzlich den Vornamen Israel oder Sara annehmen Berta Landau zeigte
am 17. April 1939 bei der Ortspolizeibehörde Rhede die Hinzufügung des Zwangsnamens „Sara“ zu ihrem
Vornamen an, der auch in der Einwohnermeldekartei eingetragen wurde.
Durch eine Polizeiverordnung vom 1. September 1941 waren Menschen jüdischen Glaubens vom sechsten
Lebensjahr an ab diesem Tag unter Strafandrohung verpflichtet, einen Stern aus gelbem Stoff mit der
Aufschrift „Jude“ sichtbar an ihrer Kleidung zu tragen.
Weitere Verfügungen (B1290) schlossen die Juden vollkommen aus dem öffentlichen kulturellen und
gesellschaftlichen Leben aus: Am 15. November 1938 wurden alle jüdischen Kinder auf ministerielle
Anordnung hin von öffentlichen Schulen verwiesen. Nach einer Mitteilung des Innenministeriums vom
28. November konnten Stadtbezirke und öffentliche Einrichtungen für Juden gesperrt werden; das galt
vielerorts für Theater, Kinos, Konzertsäle, Museen, Ausstellungen, Sportanlagen, Badeanstalten usw. Viele
Juden sahen nach dieser Verdrängung aus dem Leben der Bevölkerung in der Flucht die einzige
Überlebenschance. Die Ausreise unter immer schwierigeren Bedingungen stieg seit dem 9. November
1938 sprunghaft an.
Die letzte Jüdin in Rhede war Berta Landau, sie wurde im Dezember 1941 deportiert und im
Konzentrationslager Riga-Dünamunde (Außenlager) am 26. März 1942 ermordet.
Weitere Informationen zu diesem Sachverhalt:
Quellen:
B451 Steuerverwaltung 1939-1963
B1290 Gesetzgebung über Jüdische Gemeinschaften 1938-1957
Unterrichtsmaterialien Jüdische Geschichte aus Bocholt und Rhede, Josef Niebuhr
Die Rheder Juden, Heimatverein Rhede 1989
Deutsches Historisches Museum, Berlin, 2009
Anlagen:
PDF-Dokument: Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben, 12.11.1938
3 Fotos: Abb. Hohe Strasse in Rhede (ca. 1920); Abb. Mutter Berta Landau mit ihren Töchtern Ruth und Erna (ca. 1938); Abb. Haus
der Familie Landau Neustr. 19, einen Tag nach der Pogromnacht (1938);