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Standort Stolpersteine in Rhede, Neustraße 19
Berta Stern wurde am 16. Mai 1887 in Oberasphe geboren. Oberasphe ist heute ein Ortsteil der Gemeinde Münchhausen im mittelhessischen Landkreis Marburg Biedenkopf.
Berta Stern heiratete am 17. März 1914 Arthur Landau, geb. in Ramsdorf, wohnhaft in (Borken-) Gemen. Arthur ließ sich als Viehhändler in Rhede nieder. Zunächst wohnte das Ehepaar Bahnhofstraße 34, wo auch die beiden Töchter Ruth und Erna geboren wurden. 1919 zogen die Landaus in das Haus Neustraße 19, das sie von Kupferschmied Hams gekauft hatten, nachdem sie kurze Zeit in der Hardtstraße gewohnt hatten.
Nach dem frühen Tod Arthurs (1929) blieb seine Witwe Berta mit ihren Töchtern in Rhede. Hier war sie integriert und vor allem sozial tätig. Zusammen mit Sr. M. Theophania arbeitete sie in der häuslichen Krankenpflege. In den 1930er Jahren stellte sie ihre Räume, die der Gudula-Volksschule gegenüberlagen, für Schulspeisungen zur Verfügung.
In der Pogromnacht 9./10. November 1938 wurden am Landau-Haus die Fensterscheiben eingeworfen und der Vorgarten zerstört; auch in der Wohnung kam es zu Vandalismus. In einem Brief erinnert sich 1988 die Tochter Erna Landau, verheiratete Meyer, an diese Nacht: „Wissen Sie, wie es ist, wenn man ahnungslos mitten in der Nacht von einer Horde von Zerstörern unter Drohungen und Geschrei aufgeweckt wird? … Ich habe hinterher noch wochenlang nachts am Fenster gesessen, vor lauter Angst, es könne noch einmal passieren. … Am anderen Morgen schickte mich meine Mutter zum Bürgermeisteramt, um zu erfahren, was mit unserer zerstörten Wohnung geschehe. Hier sagte man mir: 'Das ist eine nationale Erhebung, da kann man nichts machen.' Bekannte haben uns dann geholfen, die Wohnung wieder herzurichten und die Fensterscheiben wieder eingesetzt. Meine Schwester Ruth hat die 'Kristallnacht' in Gemen erlebt. In der Nacht noch wollte sie mit unserem Vetter Ralf Bendix nach Rhede. Aber an der Stadtgrenze von Borken wurden sie verhaftet und ins Borkener Gefängnis gebracht. … Ruth hatte sich im Gefängnis in Borken eine Mittelohrentzündung zugezogen, die dringend operiert werden mußte. Dr. Benölken [Hals-, Nasen- und Ohrenarzt in Bocholt] hat diese Operation durchgeführt und Ruth 13 Wochen im St. Agnes-Hospital in Bocholt versteckt. [Arischen Ärzten war es unter strengster Strafandrohung verboten, Juden zu behandeln.]“
Wegen der Terrormaßnahmen der Nazi-Regierung und besonders nach den Vorkommnissen im November 1938 beschlossen die Schwestern Ruth und Erna zu emigrieren. Am 15. Juni 1939 verließen sie Rhede. Über Amsterdam gingen sie zunächst nach England. Ruth wanderte 1946, Erna 1947 in die USA aus. Nach dem Krieg besuchten sie gemeinsam mit ihren Familien des Öfteren befreundete Familien in Rhede.
Obwohl ihre Töchter emigriert waren, blieb Berta in Rhede. Sie hatte unter den Willkürmaßnahmen des Regimes und auch unter Schikanen von Rheder Mitbürgern zu leiden. Hier nur einige Beispiele:
Einem Rheder war bekannt, dass im Hause Landau noch die braunen Lederstiefel des verstorbenen Vaters [Arthur] standen. Er kam ständig und fragte dreist nach den Stiefeln. Die Familie wollte sie aber als Andenken behalten. Schließlich gab Frau Landau aus Angst vor weiteren Repressalien die Stiefel ab. „Zwei Tage später marschierte dieser Fanatiker durch die Neustraße und sang: 'Wenn das Judenblut vom Säbel spritzt.'“ „Wenn Frau Landau einkaufte, den gelben Judenstern am Mantel [verpflichtend ab 1. September 1941] … wurde sie häufig von einem Rheder Parteigenossen begrüßt mit den Worten:'O, wat büs do wär schick, wat häs do di wär fein e'makt.' [Oh, was bist du wieder schick, was hast du dich wieder fein gemacht/angezogen.]“ Ab September 1939 durfte Berta Landau nur noch in einem bestimmten Lebensmittelgeschäft, bei Stratmann, ihre Lebensmittelmarken einlösen. „Zum Einkaufs- und Ernährungsalltag [auch Bertas] gehörte es, daß häufig die minimalen Zuteilungen schon ausverkauft und nicht mehr vorrätig waren....“ Fahrten, um die Wohngemeinde zu verlassen, mussten angemeldet und genehmigt werden. Berta Landau hatte unter dem Druck der Verhältnisse ihr Haus am 1. Juni 1939 verkauft und lebte dann weiter dort sehr beengt in einem Zimmer (Aufkammer/Upkamer) und einer Küche. Vor dem Verkauf wurden jüdische Häuser von „amtlichen Schätzern“ geschätzt. Das Haus der Familie Landau wurde weit unter Wert verkauft.
Die Ziele der nationalsozialistischen Regierung die Juden betreffend hatten sich geändert. Nachdem zuerst die Juden zur Auswanderung gezwungen werden sollten, ging es jetzt darum, den deutschen Einflussbereich „judenfrei“ zu machen, indem man die noch verbleibenden Juden ermordete.
Am 18. November 1941 verfügte die Staatspolizeileitstelle Münster per Rundschreiben an die Landräte ihres Bezirks die „Evakuierung“ von Menschen jüdischen Glaubens in das Ghetto Riga. Die zur Deportation Aufgeforderten waren „am 10. Dezember 1941 in Münster, Gertrudenhof, zu übergeben.“
Berta Landau musste sich erst am 11. Dezember 1941 um 6.30 Uhr auf dem Marktplatz in Rhede einfinden. Sr. Theophania begleitete sie auf diesem schweren Weg.
Am späten Abend des 12. Dezember 1941 begann der Abtransport der Juden vom Gertrudenhof zum Güterbahnhof in Münster. Am 13. Dezember 1941 verließ der Deportationszug Münster. Zwei Tage später, am Abend des 15. Dezember 1941, kam er in Šķirotava an, der Bahnstation für das Rigaer Ghetto. Im Ghetto Riga wurden die Deportierten zu schwerer Zwangsarbeit herangezogen. Viele starben an Entkräftung, durch Kälte, Hunger und Krankheiten.
Berta Landau wurde am 26. März 1942 hier erschossen.
Am Grabstein Arthur Landaus in Borken-Gemen ließen Erna und Ruth eine Gedenkinschrift auch für Berta anbringen.
In Rhede erinnern das Mahnmal am Schwester-Theophania-Weg, die Berta-Landau-Straße und die Stolpersteine an Berta Landau und das Schicksal ihrer Familie.
Quelle
Stadtarchiv Rhede
Die Rheder Juden, Herausgeber: Heimat- und Museumsverein Rhede
Bearbeiter/in: Berthold Kamps und Magda Hentschel